D. Pfammatter: Hans Müller (1893 – 1971)

Titel
Hans Müller (1893 – 1971). Ein Aarberger im Dienst der Öffentlichkeit


Autor(en)
Pfammatter, David
Herausgeber
Ortsarchiv Aarberg
Erschienen
Aarberg 2020: Orell Füssli Verlag
Anzahl Seiten
63 S.
von
Christoph Zürcher

Die Idee zu diesem Buch stammt vom Verein Aarkultur (https://aarkultur.ch), der sich der Kulturvermittlung in der Gemeinde Aarberg widmet und ein Ortsarchiv führt, das Akten von Firmen, Vereinen, Personen (Nachlässe) und Anlässen sowie Fotos sammelt, also genau die historischen Materialien bewahrt, die üblicherweise nicht in den Verwaltungsarchiven von Gemeinden, Burgergemeinden und Ämtern zu finden sind. Die Realisation dieses Erinnerungsbuchs über den bekannten Aarberger wurde der Berner Geschichtswerkstatt ARCHEOS GmbH (spezialisiert auf Geschichtsvermittlung, Archivbewirtschaftung, Transkriptionen, Familien- und Firmengeschichte) anvertraut, die für die Gesamtkoordination des Projekts und die inhaltliche Erarbeitung verantwortlich zeichnet. David Pfammatter, Mitinhaber von ARCHEOS, lieferte das Konzept und auch die Texte.

Der Band im A4-Format ist in erster Linie Schau- und Bilderbuch. Geschätzte zwei Drittel des Bands entfallen auf Bildmaterial zur Biografie von Hans Müller. Es kommt zum grössten Teil aus dem Ortsmuseum des Aarkultur-Vereins, ergänzt mit Bildern, welche die Familie zur Verfügung gestellt hat, und Mitteilungen von Zeitzeugen.

Hans Müller, heimatberechtigt in Murgenthal, kam in Unterseen zur Welt, wo sein Vater Gottfried beim Bau des Interlakener Schifffahrtskanals eine Funktion innehatte. 1995 gründete Gottfried in Bargen ein eigenes Baugeschäft. Für Hans Müller war er sowohl berufliches wie politisches Vorbild. Gottfried Müller war Gemeinderat, Grossrat, Vizeregierungsstatthalter des Amtsbezirks Aarberg, Förderer einer zweiten Juragewässerkorrektion und Retter der 1912 abgebrannten Zuckerfabrik. Hans Müllers Karriere war also in der Familie angelegt. Nach der Matura am Berner Kirchenfeldgymnasium studierte er an der ETH und wurde 1917 als Bauingenieur diplomiert. Es folgten Lehr- und Wanderjahre in den USA, in Kanada, Mexiko und Italien. Von 1919 bis 1921 leitete er den Bau des Kraftwerks Eglisau; mit erst 28 Jahren übernahm er das väterliche Baugeschäft.

Auch seine politische und die militärische Karriere waren modellhaft. Von 1927 bis 1930 war er Gemeinderat in Aarberg, von 1937 bis 1943 (abgewählt) und erneut von 1947 bis 1963 freisinniger Nationalrat. Die militärische Karriere absolvierte er als Sappeur und Pontonier bis zum Geniechef und Oberst im Stab der 2. Division. In diesen Kontext gehört die abenteuerliche und publizistisch sehr beachtete Flussreise von 1932 der Pontoniervereine Bern und Ligerz über 550 km von Genf nach Marseille, wo die Schweizer am 8. August von der Musique municipale mit der «Marseillaise» empfangen wurden. Bleibende Verdienste erwarb sich Hans Müller mit seinem Engagement für die zweite Juragewässerkorrektion. Nachdem im Frühjahr 1955 das Seeland zum vierten Mal in kurzer Zeit von der Aare unter Wasser gesetzt worden war, erreichte Müller, dass sich am 17. März 1955 die fünf Juragewässerkantone zu einer Vereinigung unter seiner Leitung zusammenschlossen. 1959 konnte dem Bundesrat ein fertiges Projekt vorgelegt werden, 1962 begannen die Bauarbeiten.

Auch die Gründung der Sportschule Magglingen, heute das beim Bundesamt für Sport angesiedelte nationale Sportzentrum, geht auf Müllers Initiative zurück. Schliesslich ist an Müllers Einsatz bei der Rettung des zerfallenden Stockalperpalasts in Brig zu erinnern, der auf seine Freundschaft mit dem Nationalratskollegen und Briger Stadtpräsidenten Moritz Kämpfen zurückgeht.

Müller war ein anpackender Macher, ein begnadeter Netzwerker, er war Mäzen, Sprachliebhaber und versuchte sich auch als Literat. Er förderte das Trommler- und Pfeiferkorps Aarberg, war Verwaltungsrat bei der Amtsersparniskasse Aarberg, Präsident der 1917 gegründeten Automobilverkehr Aarberg AG in der Nachfolge seines Vaters und Gründer einer chemischen Fabrik in Aarberg. 1947 organisierte er eine seeländische Gewerbe-, Landwirtschafts- und Industrieausstellung. Seine politischgesellschaftliche Kommandozentrale war der von seinem Vater aus einem Konkurs erworbene Gasthof «Krone», in der beispielsweise 1961 der österreichische Bundeskanzler Julius Raab seinen 70. Geburtstag feierte.

Interessant ist Müllers Funktion als Präsident des kantonalbernischen Gewerbeverbands zwischen 1938 und 1953. Müller legte sich mit der BGB an, als der Gewerbeverband bei der Regierungsratswahl vom Dezember 1939 seinen Wunschkandidaten gegen die BGB nicht durchbringen konnte. Markus Feldmann hatte den Streit zu schlichten, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht. Feldmann und Müller gerieten später über die Rolle von Bundesrat Marcel Pilet-Golaz aneinander. Während für Feldmann Pilet-Golaz der Lieblingsfeind war, urteilte Müller versöhnlicher und billigte Pilet-Golaz mindestens guten Willen zu. Schon in einem Tagebucheintrag vom 2. Januar 1942 hielt Feldmann fest, dass Müller «in rabiater Weise gegenüber dem freisinnigen Kantonalpräsidenten Studer Pilet in Schutz» genommen habe, was Feldmann erboste.

Die Episode zeigt – es ist der einzige Kritikpunkt an diesem gediegenen biografischen Bändchen –, dass es sich gelohnt hätte, dem politischen Wirken Müllers etwas mehr Gewicht zu geben. Da aber nicht eine politische Biografie geplant war, ist das eine lässliche Sünde.

Zitierweise:
Zürcher, Christoph: Rezension zu: Pfammatter, David: Hans Müller (1893 – 1971). Ein Aarberger im Dienst der Öffentlichkeit. Hrsg. vom Ortsarchiv Aarberg. Aarberg 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 2, 2021, S. 73-75.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 2, 2021, S. 73-75.

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